Der gute Darm by Sonnenburg Justin; Sonnenburg Erica

Der gute Darm by Sonnenburg Justin; Sonnenburg Erica

Autor:Sonnenburg, Justin; Sonnenburg, Erica
Die sprache: deu
Format: mobi, azw3, epub
Herausgeber: d-Südwest
veröffentlicht: 2016-05-25T12:20:44+00:00


MIKROBENFREIE MÄUSE: MUTIG, GEFRÄSSIG UND VERGESSLICH

Die Idee, dass Mikroben das Verhalten eines Menschen beeinflussen, ist nicht ganz neu. Viele Pathogene können sich auf die Psyche auswirken. Das schraubenförmig gewundene, sehr bewegliche Bakterium Treponema pallidum, der Erreger der Syphilis, befällt unter anderem das Rückenmark und das Gehirn des infizierten Menschen. Durch seinen zombiehaften Befall des Nervensystems kann Treponema pallidum Depressionen, affektive Störungen und sogar Psychosen auslösen. Bestimmte Mikrobenarten kontrollieren das Bewusstsein anderer Lebewesen, um sich fortzupflanzen. Das Protozoon Toxoplasma gondii nistet sich im Gehirn infizierter Nagetiere ein und bewirkt dort, dass das Tier seine normale Scheu vor Katzen verliert und dementsprechend einfach zu fangen ist. Wenn eine Katze dann ein solches Nagetier frisst, profitiert das Toxoplasma gondii davon, indem es seinen Lebenszyklus in der Katze vollenden und sich über den Katzenkot weiter ausbreiten kann. Aus der Sicht der Mikrobe ist die „Bewusstseinskontrolle“ über das Nagetier also extrem nützlich. In der Natur finden sich zahlreiche weitere Beispiele von solchen „schlechten“ Mikroben, die zu ihrem eigenen Nutzen in das Gehirn des Wirtstiers eindringen und es manipulieren. Weniger bekannt ist, ob auch „gute“ Mikroben im Darm zu solchen Manipulationen fähig sind.

Die ersten Hinweise darauf, dass die Darmmikrobiota mit der Gehirnfunktion verknüpft ist, ergaben sich aus Versuchen mit keimfrei gehaltenen Labormäusen. Wissenschaftler beobachteten, dass sich solche Mäuse tendenziell anders verhielten als Mäuse mit einer normalen Mikrobiota. Die Mäuse ohne Bakterien verfügten über eine größere Bewegungsaktivität und gingen in diversen Versuchsanordnungen mehr riskante Situationen ein. Auf freiem Feld legen solche „Extremsportler“-Mäuse längere Distanzen zurück, wodurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie von einem hungrigen Habicht entdeckt werden. Aus evolutionärer Sicht ist Risikofreudigkeit nichts Erstrebenswertes, denn es gefährdet das Überleben und die Fortpflanzung der jeweiligen Art. Eine Maus, die sich von freien Feldern fernhält, schützt sich und erhöht damit die Chance, dass ihre Gene und ihre Mikroben an zukünftige Generationen weitergeben werden.

Weiter stellten die Forscher fest, dass die Versuchsmäuse umsichtiger agierten, nachdem sie mit Darmbakterien kolonisiert worden waren. Das funktionierte aber nur, wenn es frühzeitig geschah, also sozusagen noch im Kindheitsalter der Mäuse. Erhielten sie die Bakterien erst als ausgewachsene Mäuse, änderte sich an ihrem risikofreudigen Verhalten nichts mehr. Es scheint, dass die Darmmikroben nur im jungen Alter eines Lebewesens dessen Risikotoleranz „einstellen“ können. Bei Menschen wächst das Gehirn im Kindesalter sehr schnell und es wird eine Unmenge von Vernetzungen zwischen den Gehirnneuronen aufgebaut. Wenn Mikroben eine Rolle bei der Entwicklung der Persönlichkeit und des Verhaltens spielen, leuchtet es ein, dass sie ihre größte Wirkung am Lebensanfang entfalten.

In anderen wissenschaftlichen Versuchen stellte sich heraus, dass mikrobenfreie Mäuse nicht nur den Nervenkitzel bevorzugen, sondern auch Probleme bei der Merkfähigkeit haben. Zwei Gruppen von Mäusen, die eine mit einer Mikrobiota, die andere ohne, wurden einigen Gedächtnistests unterzogen. Beim ersten Test wurden ihnen fünf Minuten lang ein kleiner glatter und ein großer geriffelter Serviettenring in den Käfig gelegt, die sie ausgiebig beschnüffeln konnten. Dann wurden die Ringe 20 Minuten lang wieder entfernt. Als Nächstes wurde der geriffelte Ring zurückgelegt, zusammen mit einem für die Mäuse ganz neuen Gegenstand, einer sternförmigen Ausstechform für Plätzchen.



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